Was bedeutet «Atmender Unterricht»? Welche Rhythmen im schulischen Alltag wirken gesundend und stärkend? – Rund 330 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen diesen Fragen auf den gesamtschweizerischen Weiterbildungstagen, die vom 17. bis 18. Januar 2025 am Goetheanum in Dornach stattfanden, nach.

Constanza Kaliks von der Pädagogischen Sektion eröffnete mit ihrem Vortrag «Das Atmen in der pädagogischen Praxis» das Tagungsthema. Für Rudolf Steiner waren, wie in der «Allgemeinen Menschenkunde» ausgeführt, die Rhythmen von Atmen, Schlafen und Wachen ein zentral wichtiges pädagogisches Thema. Kaliks führte aus, dass das Atmen als Bild jeglichen Lernprozesses aufgefasst werden kann: «Äusseres aufnehmen, verinnerlichen, sich zu eigen machen und verwandelt wieder an die Welt abgeben.» In den schlafenden Rhythmus schlagen unsere Erkenntnisse ein: Wir werden wach. In einem gesunden Schwingen zwischen schlafendem und wachendem Bewusstsein lernen die Kinder am besten.

Bevor Philipp Reubke, ebenfalls von der Pädagogischen Sektion, seinen Beitrag gab, lockerte Agnes Zehnter mit Sprachübungen das Auditorium auf. Dann schilderte Reubke seine Eindrücke aus einem belgischen Kindergarten, in dem die Kindergärtnerin in entspannter Atmosphäre nur gelegentlich intervenieren musste, aus der Ferne aufmerksam die Kinder beobachtend, aber ansonsten ihnen freien Lauf liess. Dieser unaufgeregte rhythmische Wechsel von Aktivität und Ruhe vermittle den Kindern Sicherheit und schaffe Vertrauen.

Alexander Koekebakker, Sportlehrer an der Stei­nerschule Basel, hob die Bedeutung des Zusammenhangs von Rhythmus, Bewegung und Lebensprozessen hervor. Rhythmus erleichtere alle Arbeit. Es gilt dabei, natürliche und bewusst ergriffene Rhythmen zu unterscheiden. Bei allem Neuen müsse man erst den Rhythmus finden (Beispiel Ball werfen, loslassen, Ball fangen). Viele Kinder hätten heute Probleme mit dem Loslassen und könnten deshalb nur schwer in einen (Lern-) Rhythmus finden.

Im Anschluss konnten über 20 Workshops besucht werden. Das Spektrum reichte von Sprachgestaltung, Musik und Eurythmie bis zu Religion, Geschichte und Werken.

Foto: Charlotte Fischer


Am Abend präsentierte sich ein kleines Gesamtkunstwerk aus Musik und Vortrag. Saskia Beck (Harfe) und Tony Majdalani (Percussion) begleiteten mit mehreren Stücken die Beiträge zu einer «neuen Schulkultur in 5 Akten» von Olivier Vogt (RSS Biel) und Gerwin Mader (AfaP). Vogt verglich in seinen kabarettistischen Ausführungen sich als Pilot eines Linienfluges von A nach B ausgebend die Steinerschulbewegung mit einem routiniert ablaufenden Linienflug, dem die Fluggäste abhanden kommen. Woran mag das liegen? Die Route stimmt, die Richtung stimmt – aber vielleicht sollte man auf einen Ballon umstiegen, Ballast abwerfen, um die richtige Flughöhe zu erreichen, auf der die Winde wehen …? Anschliessend berichten zwei Lehrer, was sie motiviert, diesen Beruf auszuüben, und einer brachte es als passionierter Kletterer ebenfalls in ein passendes Bild: Jeden guten Griff muss man irgendwann loslassen, wenn man weiterkommen will. Sich dabei nur an die «Menschenkunde» zu halten, hiesse allerdings, klettern ohne Seil. Gerwin Mader fragte abschliessend: Was motiviert Menschen bei gefühlt doppelter Arbeitszeit und halben Gehalt, an einer Steinerschule zu arbeiten? Viele von ihnen kommen, nicht weil sie einen anthroposophischen Hintergrund haben, sondern weil es ihrem Herzensbedürfnis entspricht. Nun stünde man als Bewegung an einem Wendepunkt und könne, wie beim freien Spiel, nur aus dem Jetzt schaffen. Mader schlug vor, Koalitionen mit anderen zivilgesellschaftlichen Impulsen zu bilden, wie zum Beispiel der Graswurzle-Bewegung.

Der Abend klang aus mit gemeinsamen Tanz in der Wandelhalle.

Am nächsten Tag beschloss der Vortrag von Oskar Jenni «Was brauchen Kinder für ein gutes Leben?» die Weiterbildungstage und eröffnete die Eltern-Weiterbildungstagung mit dem Thema «Individualität und Gemeinschaft», die zum zweiten Mal gemeinsam am Goetheanum stattfand (siehe nachfolgenden ausführlichen Bericht). Jenni ist in Nachfolge von Remo Largo Entwicklungspädiater an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Er führte als zentrale Voraussetzungen für ein gutes Leben der Kinder die sogenannten «5G» und die «5V» an, die er empirisch erforscht hat:

«5G» bedeutet: emotionale Geborgenheit, körperliche Gesundheit, geeignete Erfahrungen, geordnete Strukturen und stabile Gemeinschaften. «5V» bedeutet: vertraute, verlässliche, verfügbare, verständnis- und liebevolle Bezugspersonen. Insbesondere bei dem Punkt Verlässlichkeit führte er die Bedeutung der Rhythmen, Regeln und Rituale für die Entstehung der emotionalen Geborgenheit an. Im schulischen Kontext rät er zu einem entwicklungsorientierten Unterricht, Unterrichtsmethoden, die individuelle Gespräche ermöglichten, zu einem Lernen in Bewegung, zu Angeboten der Emotionsregulation und zeitlich rhythmisierten und geordneten Arbeitsstrukturen.

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