Jodok Vuille (35) ist ehemaliger Schüler der Steinerschule Ittigen und ein Shooting-Star der Influencer-Szene. Ob Natur oder Großstadt – er spielt Cello an den abenteuerlichsten Schauplätzen – oft auch barfuß – und Millionen folgen ihm.

Wie wird ein Sport- und Musiklehrer an einer Oberschule in Hergiswil zu einer internationalen Berühmtheit in den sozialen Medien?
Ich bin von Haus aus Sportlehrer, Musiklehrer und Cello-Lehrer und auch Konzertmusiker. Ich hatte viele Konzerte, schweizweit als Solist, Orchester-Kammermusiker. Plötzlich ist dann die Corona-Zeit gekommen und ich hatte viel Zeit. Alle Konzerte wurden abgesagt. Da habe ich mir gedacht, ich werde meiner zweiten Leidenschaft noch etwas mehr Zeit geben, und das ist die Videografie. Ich bin ein riesen Filme- und Kamera-Nerd. Ich liebe alles mit Drohnen, mit Objektiven, mit Kameras, mit Editing, mit Color Grading – alles, was mit Filmemachen zu tun hat. Da habe ich mich ein bisschen reingefuchst, habe angefangen, schöne YouTube-Videos, Music-Cover-Videos zu machen, bin in die Schweizer Berge gefahren beim Säntis, Alpsteingebirge bei Sonnenuntergang auf einer großen Felsklippe – das berühmte Video von mir auf YouTube. So habe ich angefangen. Und plötzlich kamen ein paar Sportschüler zu mir, ich denke vor eineinhalb Jahren, und haben gesagt: «Sie, Herr Vuille, machen Sie doch mal etwas richtig Cooles! Machen Sie doch mal ein Tiktok-Video!» Dann habe ich gesagt: «Ach, das ist doch nur für die Jungen was!» Dann habe ich trotzdem eines gemacht, und das ging völlig viral. Ich musste plötzlich von horizontal auf vertikal schalten, weil die Social Media-Formate sind ja heutzutage alle in vertikal, in Smartphone-Version. Da habe ich ein Video produziert, auf Instagram, Tiktok, YouTube-Shorts und Facebook hochgeladen. Das ging völlig viral. Das Lustige ist: Dieses Video wurde natürlich international ausgestrahlt, der Algorithmus hat das mega gepusht, und plötzlich hat dieses Video Pierce Brosnan, der ehemalige James Bond-Darsteller, gelikt. Ich bekam eine besondere Nachricht. Er hat es sogar repostet in seiner Instagram-Story. Dann hatte ich über Nacht 200.000 neue Followers, und dann ist es losgegangen. Viele virale Videos. Ich habe eines mit über 40 Mio. News allein auf Instagram, über 90 Mio. News ein Video. Dann sind große Kooperationen gekommen, sämtliche Schweizer Zeitungen, 20 Minuten, From Page, SRF, Schweizer Illustrierte, Tagesanzeiger, Bunte, B.Z., alle großen Medien kamen und wollten Interviews. Es gab Kooperationen mit dem Star-DJ Alan Walker, wo ich nach Norwegen gereist bin, um ein Videoclip mit ihm zu machen. Es gab die Kooperation mit dem großen Multimilliarden-Unternehmen FC Barcelona. Ich durfte für die katarische Königsfamilie in Dohar auftreten – das war eine sehr spannende Geschichte. Also es gab viele spannende Sachen. Gerade habe ich den Swiss Influencer Award gewonnen in Zürich und den nominierten World Influencer Award in Cannes, welcher am 23. Mai 2025 stattfindet. Dort werde ich sogar einen Auftritt machen können vor sehr berühmten Hollywood-Stars. Also es läuft sehr gut im Moment!

Sie sagen selbst, dass der krasse Erfolg Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Aufträge von potenten Geldgebern, eine geplante Welttournee 2025 – viel Zeit zum Unterrichten wird wohl wenig bleiben …
Ja, das stimmt. Es ist sehr viel geplant. Ich habe letztes Jahr noch 120 Prozent gearbeitet neben Konzerten und Social Media. Dieses Jahr habe ich auf 40 Prozent reduziert, und ich werde im Februar 2025 meine Stelle als Sport- und Musiklehrer kündigen. Dann wird es am 25. März 2025 meine erste World-Tour-Open-Show in Zürich geben im Theater 11, anschließend Japan, Welttournee, es gibt viele Corporate-Shows, es gibt Kooperationen, daher musste ich meine Stelle leider kündigen, obwohl ich an der Schule ein sehr gutes Leitungsteam habe, das sehr flexibel ist und alles mitmacht.

Foto: Jodok Vuille


Drei Themen spielen in Ihrem Leben eine Rolle: Ihre Kindheit auf einem Bio-Bauernhof im Emmental, das Cello-Studium, also die Musik, und der Sportunterricht, also die körperliche Bewegung. – Was meinen Sie aus Sicht eines Lehrers: Wären Kinder besser drauf, wenn sie jeden Tag Musik und Sport machen und sich gesund ernähren würden – statt die Schulbank zu drücken und vorwiegend im Kopf bleiben?
Unbedingt! Bewegung ist etwas sehr, sehr Wichtiges für Kinder. Es fördert die eigene Körperwahrnehmung, es fördert auch die Sozialität, Kontakt, Interaktion, Reaktion, es macht den Schulalltag lebendig. Daher, denke ich, bietet die Steinerschule ein wunderbares Gefäß dafür. Ich war selber ein sehr verträumter Junge, meine Neunt-Klass-Arbeit war über das Thema «Wolkenbilder» – was für ein abstraktes Thema für einen Neuntklässler! Für mich war die Steinerschule Langnau ein großes Geschenk. Wir hatten sehr viele musikalische Projekte, hatten viel Theater, wir sind auf Reisen gegangen, haben in Lehrbetriebe hineingeschaut, in Kunsthandwerke. Das war eine sehr goldene Zeit. Jeden Tag Musik und – unglaublich wichtig – Sport, Bewegung; das kann auch Eurythmie sein. Ich habe Eurythmie geliebt! Ich habe es als kleiner Junge nicht zugegeben, aber es war neben Sport und Musik und Gartenbau mein Lieblingsfach.

Sieht man die Videos, wie Sie mit den Schülern umgehen, scheint Ihnen die Interaktion mit ihnen ein Herzensanliegen zu sein. Warum?
Ich hatte mein Leben lang einen sehr guten Draht zu Kindern, sehr intuitiv, spielerisch. Das ist auch ein bisschen mein Naturell. Ich glaube, es ist die Pflicht eines jeden Erwachsenen, Kindern mitzugeben, was man selber einmal erfahren durfte durch ältere Menschen als Kind. Das mache ich sehr gern. Die Kinder haben immer etwas Unvoreingenommenes, etwas Erfrischendes, etwas Neues, etwas Staunendes. Sie sind sehr ehrlich in allem, was sie sagen und tun, und das inspiriert mich natürlich auch. Daher ist es schon ein bisschen schade, dass ich im Februar 2025 aufhöre mit dieser Lebensaufgabe, aber das kann immer wieder kommen natürlich.

Foto: Jodok Vuille

Wie sähe Ihre «Wunschschule» aus?
Meine Wunschschule kommt der Steinerschule, glaube ich, ziemlich nahe. Viele Bewegungsfächer, viele Musikfächer, individuelle Förderung, auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen, ihre Interessen vor allem berücksichtigen. Das ist natürlich eine Riesenherausforderung in einer Klasse von 18 Kindern. Aber ich glaube, es muss in Zukunft in diese Richtung gehen. Viele Projekte, Reisen … Ich finde es auch immer schön, mit Klassen in Berufe, in Handwerke hineinzuschauen, zum Schmied, zum Metzger, zum Schreiner, zum Gartenbauer, zum Dachdecker gehen. Sozialprojekte und viele tolle kreative Momente erzeugen.

Ihre Zeit an der Steinerschule: Hat sie Ihre Berufswahl beeinflusst? Wie schauen Sie insgesamt auf Ihre Schulzeit zurück? Was hat Sie am stärksten geprägt?
Insgesamt hatte ich eine wunderbare Schulzeit. Ich bin neun Jahre in die Steinerschule Langnau im Emmental gegangen, dann ging ich für ein zehntes Schuljahr an eine Staatsschule, das BVS in Langnau, und dann noch zwei Jahre in Ittigen an der Steinerschule. Das war für mich eine sehr tolle Schulkarriere. Ich hatte sehr, sehr spannende, gute Lehrpersonen, obwohl wir eine ganz schwierige Klasse waren. Ich habe davon sehr viel mitgenommen. Am stärksten geprägt hat mich, denke ich, die Bodenständigkeit und Naturverbundenheit, die den Fokus auf Kunst, auf Sozialität legte, was ich eigentlich durch die ganzen zwölf Jahre mitbekommen habe. Einfach auch ganz wichtig: Ich glaube, dass die Steinerschule es auch bietet, Kind sein zu können, Kind sein dürfen zu können, was bei staatlichen Schulen oft ein wenig in den Hintergrund rückt, weil so viel Notendruck und Computer und zu viel Korsett, zu viel Struktur vielleicht manchmal herrscht. Das habe ich sehr genossen an der Steinerschule, und das hat mich auch sehr geprägt. Ich war nach zwölf Jahren auch nicht lernmüde; ich habe eigentlich erst dann angefangen, mich richtig in Materien hineinzubegeben. Das rechne ich der Steinerschule sehr hoch an bis heute.

Würden Sie Ihre Kinder auf eine Steinerschule schicken?
Nicht zwingend. Ich habe gelernt in meinen schon zehn Jahren als Lehrer, auch an Staatsschulen: Es gibt überall dort gute Schulen, wo es gute Lehrpersonen gibt, und umgekehrt auch. Es gibt dort schlechte Schulen, schlecht geführte Klassen, wo es schlechte Lehrpersonen gibt, und das kann an Steinerschulen sein und das kann auch an Staatsschulen sein. Von dem her muss ich, ehrlich gesagt, sagen: Wenn ich eine gute Staatsschule in meinem Dorf habe, werde ich meine Kinder dorthin geben – das ist natürlich auch viel günstiger. Ich glaube, es geht immer nur um die Menschen vor Ort, Schulleitung, die Klassenlehrerpersonen, das Lehrerkollegium. Das macht für mich den Haupt­unterschied. Und natürlich die Erziehung der Eltern – ganz wichtig! Wenn ich eine tolle Steinerschule in meinem Umkreis habe, dann ist es natürlich eine Option, aber es ist auf keinen Fall ein Muss für mich.

Foto: Jodok Vuille

Ab wann würden Sie Ihren eigenen Kindern ein Smartphone schenken?
Ich würde meinen eigenen Kindern sehr spät ein Smartphone schenken. Ich merke selber, was es mit mir macht. Ich verbringe Stunden mit Tiktok, mit YouTube, mit Instagram etc. Natürlich ist es auch von Berufs wegen für mich ein wichtiger Faktor. Weil ich Geld damit verdiene, muss ich das natürlich analysieren und studieren, aber ich sehe, was es mit Kindern macht in meinen eigenen Klassen. Man sieht auch, dass zum Beispiel in China der Staat Tiktok sehr beschränkt und sogar für Kinder überhaupt nicht mehr zulässt oder dann nur noch für eine halbe Stunde pro Tag. Australien auch. Ich denke, Social Media wird viel mehr wieder reguliert, die Stunden reguliert, für kleine Kinder sogar vielleicht komplett eingeschränkt. Man kommt um das Smartphone nicht mehr drumherum, aber man muss wahnsinnig aufpassen, wenn man eine gesunde Gesellschaft bewahren will, dass man das sehr dosiert und im richtigen Alter macht. Ich würde sagen, um auf die Frage zurückzukommen: ab 14, 15, in diesem Alter.

Sie sagen, dass Sie nun unter hohem Druck stehen, ständig zu liefern. Gibt es auch Zeiten, in denen Sie offline sind?
Es gibt praktisch keine Zeiten, wo ich offline bin. Ich lade meine Videos oft zwischen 3 Uhr nachmittags bis 6 Uhr abends hoch auf meine Plattform. Wenn ich um 9 Uhr noch nichts hochgeladen habe, habe ich über 1000 Nachrichten, ob alles gut ist, ob man die Polizei anrufen soll, ob ich gesund bin, ob ich noch lebe sogar. Das ist schon verrückt! Ich habe natürlich jetzt auch viel mit Promoten, Veranstaltungen weltweit, mit meinem Management zu tun, da geht es quasi um Sekunden. Man muss sofort zusagen, man muss sofort interagieren können, man muss sofort Connection aufbauen können. Wenn man das nicht macht, gibt es schon jemand anderes, der für einen einspringt. Also man muss eigentlich non stopp on point sein, das erwartet auch mein Management von mir. Ich habe noch keine Familie, noch keine Kinder, daher ist es für mich gut machbar. Aber es nagt natürlich schon an der Substanz, auf jeden Fall. Von Zeit zu Zeit nehme ich wieder eine Auszeit, gehe in der Natur spazieren oder habe mit Freunden ein gutes Abendessen; dann schaue ich schon, dass ich das Smartphone in meiner Tasche habe und nicht auf dem Tisch neben mir.

Foto: Jodok Vuille

Bei aller Berühmtheit – welche Botschaft wollen Sie den Menschen mitgeben?
Ich glaube, das Wichtigste ist bei aller Berühmtheit und dem Erfolg, einfach immer bodenständig zu bleiben, naturverbunden zu bleiben, Freude an kleinen Dingen im Leben zu bewahren und immer freundlich und liebevoll mit Menschen auch in der zweiten Reihe umzugehen. Ich würde sagen, das ist das Wichtigste. Und einfach auch mal Leute zu hören und mit Leuten zu sprechen, die überhaupt nicht im eigenen Business sind, die vielleicht auch noch kritisch auf meine Arbeit reagieren, dass man diesen Menschen auch ein Gehör schenkt und sich dadurch selber neu und frisch und unvoreingenommen reflektiert.

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