Eine Steinerschul-Initiative im Westjordanland – Palästina

Text: Omer Allon

Das House of Hope ist eine zarte Initiative mit kleiner Waldorfschule und Kindergarten, die sich auf dem Weg befindet, eine Waldorfschulgemeinschaft zu werden. Sie ist eine Antwort auf die schwierige Situation und die besonderen Bedürfnisse der Kinder in einem Krisengebiet. Während meinen Aufenthalten bei meiner Familie in Israel durfte ich die Schule einige Male besuchen und lernte Manar Wahab und ihren Mann Milad Vosgueritchian, das Gründerpaar der Schule, kennen.

Foto: House of Hope

Omer Allon: Könnten Sie etwas über Ihren Werdegang erzählen? Wie kamen Sie auf die Idee, eine Schule zu gründen? Wie sind Sie zur anthroposophischen Pädagogik gekommen?
Manar Wahab:
Mein Erststudium absolvierte ich in Administration und IT. Mein Herz schlug aber schon immer für die Arbeit mit Menschen und dafür, Gutes zu tun. So gründeten Milad und ich 2013 die Schule House of Hope mit der Idee, möglichst vielen Kindern einen geregelten und sicheren Schulalltag zu ermöglichen. Auf die Waldorfpädagogik wurde ich bei einer Veranstaltung aufmerksam: Eine Frau erwähnte, dass sie als Waldorflehrerin tätig sei und sich der Gewaltlosigkeit verpflichtet fühle. Obwohl ihre Stellungnahme kurz war, fühlte ich etwas Grösseres in ihrer Aussage, etwas, was mich selbst überstieg, ja auch über rein äussere Verpflichtungen hinausging und ich begann, über den Hintergrund ihrer Aussagen zu recherchieren und machte mich auf die Suche. Damals wusste ich noch nicht, dass dies Jahre in Anspruch nehmen sollte. Ich tauchte in die Anthroposophie ein, las viele Bücher und versuchte, durch meine Lektüre den Kern der anthroposophischen Pädagogik mir autodidaktisch anzueignen. Durch Kontakte zu deutschen und amerikanischen Freunden bekam ich bald die Gelegenheit, mich mit entsprechenden Bildungseinrichtungen zu vernetzen und aufzusuchen. Bei meinen Besuchen wurde es mir ermöglicht, vieles über den Hintergrund der Philosophie der anthroposophischen Bildungseinrichtungen kennenzulernen, sie anhand realer Beispiele wahrzunehmen und tiefer zu verstehen. So kam ich eigentlich in erster Linie durch die Anthroposophie zu meiner Arbeit im Bildungswesen.

Als ich von Deutschland zurückkam, hatte ich Telefonnummern von verschiedenen Leuten in Israel in der Tasche, die in der Waldorf-Pädagogik tätig sind. Ich nahm Kontakt mit ihnen auf und stiess dadurch auf die Waldorfschule Tamrat el Zeitun in Shefar’am im arabischen Teil Israels. Dort lernte ich Stefanie Allon kennen, eine der Mitgründerinnen der Schule und eine erfahrene Kindergärtnerin, die zu diesem Zeitpunkt schon lange für die arabisch-jüdische Zusammenarbeit im Erziehungsbereich gearbeitet hatte. Ich teilte ihr meinen Wunsch mit, mich umfassend in der anthroposophischen Pädagogik ausbilden zu lassen. Es ist zu einem grossen Teil ihr Verdienst, dass ich schon bald danach ein vierjähriges Studium am staatlichen Lehrerseminar David Yellin College in Jerusalem beginnen konnte, an dem es die Möglichkeit gibt, sich auf die anthroposophische Pädagogik zu spezialisieren.

Das David Yellin College ist eine israelische Institution und ich war während der ganzen Ausbildung die einzige palästinensische Studentin am Lehrerseminar und hatte mit vielen Hindernissen zu kämpfen. So war es mir immer wieder untersagt, die palästinensische Grenze zu Israel zu überqueren, was zu ungewollten Absenzen im Unterricht führte. Ebenso fiel meine Ausbildung in die Corona-Zeit, was viele zusätzliche Einschränkungen mit sich brachte. Trotz allem gelang es mir, das Lehrerseminar nach vier Jahren erfolgreich abzuschliessen und das Lehrerpatent zu erwerben. Es war eine lehrreiche Zeit in allen Belangen – in besonderer Erinnerung bleibt mir der Austausch mit meinen israelischen Mitstudentinnen und Mitstudenten, der das gegenseitige Verständnis füreinander förderte und freundschaftliche Beziehungen hat wachsen lassen, die bis heute bestehen.

Im dritten Studienjahr begann ich mit Hilfe von Stefanie Allon, unsere Schule in Al-Eiyzaryia zu einem Waldorf-Kindergarten umzugestalten. Ausserdem machte ich ein Praktikum in den Kindergärten Harduf und Jerusalem. Gleichzeitig engagierte ich mich an der Seite von Stefanie Allon in der Ausbildung von arabischen und jüdischen Kindergärterinnen.

Foto: House of Hope


Omer Allon: Wie wirkt Ihre Einrichtung auf die Kinder?
Manar Wahab:
Viele Menschen waren zu Beginn sehr skeptisch, als wir die Schule gegründet haben. Auch die Erziehungsdirektion zweifelte an einer erfolgreichen Umsetzung. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass wir eine gute Erziehung anbieten. Sogar die Behörden machen Werbung für uns und sagen Familien, die «schwierige Kinder» haben, dass sie bei uns besser aufgehoben wären. Die meisten Kinder aus dem Kindergarten bleiben dann auch in der Schule bei uns. Trotzdem verzeichnen wir viele Wechsel. Kinder ziehen an einen neuen Ort – es gibt viel Unsicherheit und Ungewissheit und die Lebensumstände ändern sich hier sehr schnell. Man weiss nie, was am nächsten Tag sein wird.

Immer wieder besuchen auch traumatisierte Kinder unsere Schule. Die vielen Rituale, die Zuwendung und unser rhythmisch gegliederter Schulalltag ermöglichen es, dass die Kinder bei uns Ruhe finden und Sicherheit spüren. Ich erinnere mich an ein Kind, dessen Vater vor seinen Augen vom Militär abgeführt worden war. Es war unruhig, schrie oft und hatte Panikattacken. In unserer Einrichtung konnte das Kind seine Ängste verarbeiten und sich positiv entwickeln. Inzwischen besucht der Junge die achte Klasse und es geht ihm gut. Diese und andere Erfolgsgeschichten motivieren mich, weiterzumachen und das House of Hope weiterzuentwickeln. Ich glaube, dieser Ort im Krisengebiet braucht diese Art von Schule.

Foto: House of Hope

Omar Allon: Wie begann die Zusammenarbeit mit Manar Wahab?
Stefanie Allon:
Wie Manar erzählt hat, hat sie die Steiner-Pädagogik stark angesprochen. Sie fing an, sich umzuschauen und entdeckte, dass die Waldorfpädagogik in Israel schon praktiziert wurde. Manar klopfte eines Tages an meine Türe. Sie suchte Unterstützung für ihren neuen Weg. So bahnte sich eine Zusammenarbeit an, die in all diesen Jahren darin bestand, einerseits Manar zu helfen, ihre Waldorf-Ausbildung im israelischen Jerusalem trotz aller Schwierigkeiten politischer und finanzieller Art zu absolvieren und anderseits Steiner-Pädagoginnen in die Schule einzuladen, insbesondere arabischsprechende, um den Mitarbeitern im House of Hope Kurse und Workshops anzubieten. Israelis halfen auch bei der Einrichtung – Tische, Stühle, Wandtafeln und vieles mehr – mit. Gerade jetzt ist ein Holz- und Schreiner-Projekt von israelischen Waldorf-Oberstufenschülern im Gange für unsere kleine palästinensische Schule.

Foto: House of Hope

Omer Allon: Wie stehen die Chancen für eine solche Waldorf-Initiative, in einem Umfeld mit so vielen politischen und sozio-ökonomischen Schwierigkeiten zu bestehen?
Stefanie Allon:
Es ist ein Weg mit unendlich vielen Hindernissen. Zuerst einmal die innergesellschaftliche Situation, in welcher noch viele patriarchalische Elemente leben, durch welche die Gleichstellung von Frau und Mann nicht selbstverständlich sind. Weiter ist es in einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit deutlich, dass viele Menschen nicht offen sind für alternative Erziehungswege, sondern möglichst schnell einen üblichen anerkannten Schulabschluss erreichen möchten. Ausserdem gibt hier keine freien finanziellen Mittel.

Doch gerade hier in dieser beengenden Situation ist für die Kinder eine befreiende und anerkennende Erziehungshaltung lebenswichtig. Es ist für sie so wertvoll, einen Ort zu erleben, der sie von Enge und Stress zumindest während einiger Stunden erlösen kann. Da ja die von Rudolf Steiner inaugurierte Pädagogik als Weg und Ziel hat, nicht nur die Entwicklung der Kinder positiv zu fördern, sondern auch sozialen Wandel zu bewirken und Gemeinschaftsbildung zu initiieren, kann man gut verstehen, dass hier der Weg noch lange sein wird und noch viel Geduld, Mut und Durchhaltevermögen erforderlich sein werden. Doch gerade in solchen Verhältnissen ist es so unglaublich wichtig, eine Hilfe zu leisten für das Selbstwert-, Sinnhaftigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl nicht nur der Kinder, sondern auch der Erwachsenen in ihrer Umgebung!

Ich glaube, dass dieser kleine Hort der Menschlichkeit an einer ganz besonderen Stelle situiert ist. Die Schule ist in ganz naher Nachbarschaft zu der hohen Betonmauer, die das palästinensische Territorium von Israel trennt, und gleichzeitig ganz nahe beim steinernen Grab von Lazarus (Al-Eizarya, Bethanien), der zu neuem Leben erweckt wurde. Auch das House of Hope kann sich mit all unserer Unterstützung zu einem lebenspendenden Ort entwickeln. Ich sehe das als bescheidene Antwort auf die zynisch-menschenverachtenden und zerstörerischen Kräfte, die wir in diesen Zeiten so stark erleben.

Foto: House of Hope

Die Steiner Pädagogik in Israel / Palästina
Die Waldorf-Pädagogik hat sich in Israel seit den 1990er-Jahren in hebräischer Sprache stark ausgebreitet, in städtischen wie auch in ländlichen Gebieten. Es gibt rund 40 Schulen, teils grosse Schulen (zwei Klassen pro Jahrgang) mit sehr grossen Klassen und Oberstufen. Ein Teil der Schulen sind vom Staat finanziert, so auch eine arabisch sprachige Schule (in Galiläa) mit zwölf Klassen und drei Kindergartengruppen. Es gibt ungefähr 200 Kindergärten in hebräischer Sprache und nun schon eine ganze Anzahl von zweisprachigen (arabisch-hebräisch sprachigen) Kindergarten-Gruppen. In der Westbank ist es sehr viel schwieriger, eine Waldorf-Initiative zu ergreifen. Umso bewundernswerter ist es, dass Manar Vosgueritchian und Milad Wahab und ihre Mitarbeiterinnen trotz allen Hindernissen diesen Durchsetzungswillen zeigen.

Die Menschen im House of Hope möchten die Waldorf-Pädagogik in Al-Eizariya konsolidieren und zum Gedeihen bringen für die Kinder, die sich hier einfinden. Darüber hinaus möchten sie den Eltern ein Gefühl der Zugehörigkeit ermöglichen und die Gemeinschaft fördern. Auch ist der Wunsch vorhanden, für solche Kinder da zu sein, deren Entwicklung besonderer Unterstützung bedarf. Und so ist die Idee entstanden, verschiedene Werkstätten einzurichten. Ein weiterer Wunschtraum ist, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für einen grösseren Kreis von Erziehern anzubieten. In beschränktem Masse wurde begonnen, Kurse in gewaltfreier Kommunikation und traumatherapeutische Workshops zu geben. Das House of Hope möchte ein Hort der Hoffnung sein. Jeder ist willkommen, Al-Eizariye zu besuchen oder Kontakt mit der Initiative aufzunehmen.

Foto: House of Hope

https://houseofhope.vision | E-Mail: Manar Wahhab, manar.nwv@gmail.com | Tel. Milad Vosgueritchian, Schulleiter: +972 56 976 39 08
Waldorf Bethanien – Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik in Palästina in Österreich,
Rainald Grugger, Waldorflehrer Salzburg:

r.grugger@waldorf-salzburg.at

Foto: House of Hope
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